Am Donnerstag war plötzlich, von einer Minute auf die andere, daheim das Internet weg.
Da das nicht zum ersten Mal passierte, bin ich der Reihe nach die üblichen Verdächtigen durchgegangen. Zuerst habe ich nachgesehen, ob der Hund das Kabel aus der TAE-Dose gezerrt hat. Dabei fiel mir ein, dass wir immer noch keinen Hund haben. Dann habe ich den Router neu gestartet und gewartet, bis die Leuchten nicht mehr blinkten.
Als Nächstes habe ich die Administrationsoberfläche des Routers geöffnet, die mir mitteilte, dass ich kein Internet habe.
Sowas aber auch.
Die Selbstdiagnose des Routers konnte mir sagen, wo das Problem lag: 11 Meter von mir entfernt sei die Leitung getrennt. So genau also. Ich möge die Leitung überprüfen oder gegebenenfalls meinen Telekommunikationsdienstleister kontaktieren.
Also habe ich per Mobiltelefon den Support meines Netzanbieters angerufen, 1&1. Nach den üblichen Voicemail-Formalitäten (nein, ich will mit meinem Anruf nicht zur Verbesserung der Support-Qualität beitragen) und kurzer Wartemusik erklärte sich ein gut aufgelegter Herr mit stark schwäbischem Akzent bereit, sich meines Problems anzunehmen.
Hotline-Anrufe beginnen immer damit, dass der Supporter und ich einander mit leichtem Argwohn umkreisen. Er will herausfinden, ob er womöglich mit dem Problem persönlich telefoniert, und ich will das Telefonat möglichst schnell dorthin leiten, dass er mein Problem löst.
„Sind Sie gerade zu Hause?“ will er wissen.
Ich: „Ja, freilich.“
Er, zufrieden: „Sie sind also am Tatort.“
Ich: „Eher am Untat-Ort. Es tut sich ja nichts. Das ist ja mein Problem.“
Wir verstehen einander.
Pro Forma klappern wir noch einmal die üblichen Verdächtigen ab. Habe ich das Kabel überprüft, was für einen Router habe ich, habe ich ihn schon neu gestartet, was sagt die Selbstdiagnose des Routers. Ich lese ihm die Meldung mit den 11 Metern vor. Er ist von der Genauigkeit der Fehlermeldung ebenso beeindruckt wie ich.
Erstaunlich schnell haben wir eine gemeinsame Basis gefunden: Er weiß jetzt, dass ich nicht das Problem bin und lässt seine gesammelten Diagnoseprogramme auf meinen Anschluss los.
Während der Computer die Leitung abklopft, kommt unser Gespräch auf das Thema „Was mit Verteilerkästen alles passieren kann“: DHL-Fahrer im Rückwärtsgang, Vandalismus durch gelangweilte Teenager, spontane Kombustion.
Sicherheitshalber gehe ich, mit dem Telefon am Ohr, vor die Haustür und sehe nach, ob ich von dort aus einen schwarz qualmenden DSLAM sehen kann. Nichts dergleichen. Wir sind beide etwas enttäuscht.
Ich: „Können Sie vielleicht irgendeinen dämonischen Schwur loslassen, der die Leitung repariert?“
Er: „Ich komme aus Schwaben, da haben wir es nicht so mit dem Dämonischen.“
Ich: „Gibt es vielleicht einen Heiligen, der in dieser Situation helfen kann?“
Er: „So spontan fällt mir leider keiner ein.“
Die Diagnoseprogramme sind durch: Die Leitung ist gestört. Die Leitung hat 1&1 bei der Telekom gemietet, die sich innerhalb von 23 Stunden um den Vorfall kümmern werde. Ich weiß, dass „um den Vorfall kümmern“ nicht garantiert, dass der Missstand tatsächlich beseitigt wird, und rechne mit ein, zwei Tagen ohne Netz. Er nimmt meine Mobilnummer auf und ich erlaube ihm ausdrücklich, sie an die Telekom weiterzugeben.
Bevor wir das Gespräch abschließen, frage ich ihn noch, ob andere Störungsmeldungen in meinem Bereich vorliegen. Er guckt nach und verneint.
Ich: „Die Telekom priorisiert Fälle doch bestimmt danach, wie viele Kunden betroffen sind.“
Er: „Ja, sicher.“
Ich: „Das bringt mich in eine Zwickmühle. Ich muss mir wünschen, dass es anderen Leuten auch schlecht geht, damit es mir schneller besser geht.“
Er: „Das ist jetzt aber eine interessante moralphilosophische Frage.“
Wir gehen noch ein paar Sätze lang gemeinsam die moralischen Implikationen meiner Situation durch. Dann verspricht er, dass mich 1&1 über den weiteren Verlauf auf dem Laufenden halten werde. Wir verabschieden uns mehrfach voneinander.
Kurz nachdem ich aufgelegt habe, trifft eine SMS ein: „Lieber Kunde, wir haben Ihre Störungsmeldung erhalten.“ In meinem inneren Ohr materialisiert sich die Nachricht in der schwäbelnden Stimme des Support-Mitarbeiters und ich kriege ein bisschen feuchte Augen.
Zwei Stunden später ist das Internet wieder da – ebenso plötzlich, wie es verschwunden war.
Ich freue mich und überlege, wie es dazu wohl kommen konnte. Dämonischer Schwur? Heiligenanbieter? Telekom-Techniker? Katze im Verteilerkasten?
Bonus: Meine Frau meinte, ich möge betonen, dass ich mir diese Geschichte nicht ausgedacht habe: „Das glaubt Dir sonst keiner.“ Alle Zitate sind aus dem Gedächtnis wiedergegeben, ansonsten hat sich alles genau so zugetragen wie beschrieben.