Er kommt mit einem leichten Zögern auf mich zu, als sei es ihm peinlich, mich anzusprechen. Mit minimal gesenktem Kopf, aber aktiv Augenkontakt suchend, spricht er mich an.
„Entschuldigen Sie bitte, aber hätten Sie vielleicht einen Euro für einen Kaffee für mich übrig?“
Ein formvollendeter Vortrag. Seine Augen bittend, seine offene Hand leicht in meine Richtung zeigend, ohne fordernd zu wirken. Er trägt einen abgetragenen Anorak, einen etwas zerzupften Bart, ist vermutlich um die Anfang Sechzig, aber vielleicht auch erst Mitte Vierzig. Schwer zu sagen, Leute mit stark bewegtem Lebenswandel sehen früh verlebt aus.
Ich weiß nicht, was ich antworten soll.
„Nein, tut mir leid“, wäre dreist gelogen. Er tut mir nicht leid. Aber ich stecke in der Falle: Jemanden, der so höflich ist, den mag ich nicht anlügen.
Seine Höflichkeit nimmt mir den Willen, andere Notlügen aus dem Hut zu zaubern. „Ich habe kein Kleingeld dabei“ geht also auch nicht; ein Einkaufswagenpfandeuro steckt immer in meiner Hosentasche.
Die Wahrheit geht ebenso wenig: „Ich glaube Ihnen nicht. Für einen Euro kriegen Sie in dieser Gegend eh keinen Kaffee.“ Ich bin mir sicher, dass er lügt, aber ich will es trotzdem nicht mit gleicher Währung zurückzahlen.
Also sage ich, verbal außer Gefecht gesetzt, nur ein Wort: „Nein.“ Ich versuche, dieses eine Wort bestimmt zu sagen, ohne dabei grausam zu klingen. Verbindlich, aber nicht brutal. Entschieden, aber ohne Ekel.
Der Bettler fokussiert schon auf einen anderen Passanten. Wir sind in der Fußgängerzone, fette Beute.
Zu einem Herren, zu dessen strengem Schritt nur noch ein Hut fehlt, sagt er: „Entschuldigen Sie die Störung, aber hätten Sie bitte einen Euro für einen Kaffee übrig?“
Der Herr sagt etwas, was weit über ein bloßes Nein hinausgeht, den Bettler aus dem Stand des chronischen Alkoholkonsums bezichtigt und auch sonst Ekel und Abweisung ausdrückt.
Der Bettler hat plötzlich eine ganz andere Stimme, gebrochen, rauchig und roh. Er verflucht den Herren und wünscht ihm das, was zurückgewiesene und beleidigte Bettler derartigen Leuten seit jeher wünschen. Dann geht er schnell weiter, in die entgegengesetzte Richtung des forschen Herren, auf der Suche nach einem Zeitgenossen mit ausgeprägterem schlechtem Sozialgewissen.
Ich überlege kurz, wie weit meine knappe Antwort die Verwünschungskanonade des Bettlers mit aufgeladen haben mag, zucke dann mit den Schultern und gehe weiter. „Nein“ war als Antwort gar nicht mal so schlecht.