Vom Pfau beschissen

Die folgende Geschichte ist wahr. Sie handelt von Fahrradsatteln und Vögeln und Journalismus und sie enthält Kraftausdrücke.

Vor einigen Wochen, als der Zoo Corona-bedingt noch zu war, fuhr ich mit dem Rad durch den anliegenden Stadtwald und hätte um ein Haar einen Pfau überfahren. Der Freiläufer stolzierte rotzfrech über den Radweg und kümmerte sich einen Dreck darum, dass ich beinahe in einen Baum gestrampelt wäre, um ihm auszuweichen.

Ich stieg ab, rief beim Zoo an, um den Ausreißer zu melden, und bekam nur den Automaten ans Ohr: „Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Erlebniszoo Hannover leider, leider geschlossen. Sie erreichen uns über unsere Social-Media-Kanäle …“

Der Pfau war zwischenzeitlich in den Wald weitergelatscht. Ich zuckte mit den Schultern und fuhr weiter.

Eine Woche später war ich in Gegenrichtung unterwegs und stieg vor dem Zoo ab und wartete darauf, dass die Ampel grün wurde. Als ich mich wieder in den Sattel setzte, fühlte sich das entschieden zu weich an.

Meine Hand fuhr von selbst zum Hosenboden, griff ins Feuchte und schreckte zurück: Warm, grün, die rechte Hand voller Vogelscheiße. Ich schob das Rad über die Ampel und versuchte, den Schlamassel zu minimieren. Der Vogelkot war auf meinem Sattel, an meiner Hose, an meiner Hand und … verdammt … jetzt auch an meinem Lenker.

Wie heißt eine Sauerei, die aus einem Vogel kommt

Mit der verbleibenden Hand öffnete ich meine Fahrradtasche und fischte darin nach Taschentüchern und Desinfektionsmittel. Zwei Taschentücher gingen dafür drauf, den Sattel sauber zu bekommen. Mir war zuvor nicht bekannt, dass Vogelkot wie Öl und Kaugummi zugleich ist: Zuerst fließt er in jede Pore und jede Ritze und ist dann extrem widerstandsfähig, wenn man ihn wegzuputzen versucht. Und dann noch dieser abstoßende, beißende Gestank …

Das dritte und das vierte Taschentuch und die Hälfte des Desinfektionsmittels gingen dafür drauf, meine rechte Hand sauber zu bekommen. Jetzt war der Lenker dran. Dann erst bemerkte ich die grünen Spritzer auf meiner schöne weißen Jacke. Zuletzt die Hose, so gut wie möglich. Keine Taschentücher mehr.

In mich hinein fluchend schwang ich mich wieder aufs Rad und begann, bei 26 km/h eine Verschwörungstheorie auszubrüten. Dass die Quelle meiner Misere der verflixte Pfau war oder einer seiner Artgenossen, sah ich durch die Kotmenge als erwiesen an. Das Tier hat mir aufgelauert. Saß im Baum, sah mich, hob den Pfauenschwanz, zielte, drückte, traf. Scheißvieh.

Eine Woche lang grollte ich dem Pfau und dem Umstand, dass der Zoo offenbar seiner wilden Meute nicht Herr zu werden vermochte. Dann war ich wieder auf derselben Strecke unterwegs und stand an derselben Ampel.

Ohne vom Sitz zu rutschen, blickte ich nach oben. Mit gewisser Vorsicht und krampfhaft geschlossenem Mund – womöglich wartete der Pfau ja gerade auf seine Chance. Kein Pfau zu sehen, aber diverse Vogelnester in den Baumwipfeln.

Inzwischen hatte ich ein bisschen über die Flugfähigkeit von Pfauen gelesen und wusste eigentlich schon, dass meine Theorie vom rachsüchtigen Zootier vermutlich nicht haltbar war. Ich hatte Glück und es kam nichts Grünes von oben, während ich auf die Ampel wartete.

Pfau vs. Journalismus

Ich fuhr weiter und dachte plötzlich über Journalismus nach und über besonnene Berichterstattung. Die „Aufmerksamkeitsökonomie“, unsägliches Wort übrigens, motiviert Medien dazu, möglichst schnell und plakativ zu berichten. Wer am lautesten schreit und am heftigsten mit den Armen wedelt, dem hören die Leute zu, und Journalisten leben halt dafür, beachtet zu werden.

Gründlichkeit und Besonnenheit bleiben immer häufiger auf der Strecke. Etwas passiert, Journalisten zählen hastig zwei und zwei zusammen schließen sofort kurz: Neulich Pfau bei Zoo gesehen, heute großer grüner Fladen auf Fahrradsattel, also hat da wohl ein Pfau auf das Rad gekackt.

Nur, dass es doch wohl irgendein anderer, total langweiliger, heimischer Vogel gewesen ist, der sich da die Seele aus dem Leib gekotet hat.

Und als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, wie unverantwortlich es jetzt wäre, einen Blog-Beitrag zu schreiben mit dem Titel „Vom Pfau beschissen“. Aber es ist halt eine klasse Schlagzeile, Leute werden zu gleichen Teilen abgestoßen und morbid neugierig drauf klicken und lesen wollen, was es damit auf sich hat.

Und danach werden meine hypothetischen Leser*innen über die Medien nachdenken und darüber, wie schlimm das doch ist, wie die Dinge heutzutage aufgebauscht werden. Woran sie nicht denken werden: Auf „Eine Taube hat mir auf den Sattel gekackt“ hätte vermutlich kaum jemand geklickt. Und so lange Leute auf sensationelle Überschriften klicken, wird sich am Stand der Dinge auch nichts ändern.