25 Jahre eXistenZ

Auf Heise Online erschien heute ein Artikel von mir: David Cronenbergs ‚eXistenZ“; 25 Jahre seiner Zeit voraus“. Kaum zu fassen, dass der Film diese Woche 25 Jahre alt geworden ist. Es ist so ein seltsamer Film — im Kino seinerzeit ein Flop, aber schon damals von der Kritik gefeiert, inzwischen Kult. Wie so viele Filme von David Cronenberg.

Es folgen ein paar ergänzende Gedanken zum Film beziehungsweise zum Artikel zum Film.

Das Pink Phone
Jude Law als Ted Pikul mit einem „Pinkphone“

David Cronenberg scheint komisch geschriebene Produktnamen ähnlich skeptisch zu sehen wie ich: Die … ungewöhnliche Schreibweise des titelgebenden VR-Spiels dient tatsächlich als Aufhänger für die Handlung des Films. Gegenüber der anwesenden Fangemeinde betont der Seminarleiter mit Nachdruck, wie das titelgebende Spiel zu schreiben ist: „Kleines E, großes X, großes Z“. Als sei das wichtig.

38 Millionen Dollar soll die Entwicklung des Spiels verschlungen haben — womöglich eine Anspielung darauf, dass David Cronenberg für seinen Film weitaus weniger auskommen musste (15 Millionen laut Wikipedia). Im Vergleich zum real existierenden Millionengrab „Star Citizen“ ist „eXistenZ“ jedenfalls ein Klacks.

Tod der Dämonin Allegra Geller
„Tod der Dämonin Allegra Geller!“ Der Anschlag.

Jedes Mal neue Überraschungen

Es hat wirklich Spaß gemacht, „eXistenZ“ für den Heise-Artikel noch ein paar Male zu sehen. Wie viel Finesse im Aufbau des vielschichtigen Drehbuchs steckt, erschließt sich erst im Laufe des zweiten Durchgangs.

(Nicht, dass der Film beim ersten Mal keinen Spaß machen würde … im Gegenteil, aber dazu gleich mehr.)

Relativ früh im Film bestaunt Allegra, gespielt von der furchtlosen Jennifer Jason Leigh, die rostige Zapfsäule einer heruntergekommenen Tankstelle und begegnet einer zweiköpfigen Echse.

Beim ersten Mal wirkt die Szene etwas bizarr. Beim zweiten Sehen wird hingegen klar, dass Cronenberg sich hier kurz in die Karten blicken lässt — nur wissen die Zuschauer zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, welches Spiel überhaupt gespielt wird.

Die seltsame Tankstelle
Allegra Geller in der seltsamen Szene vor der „Country Gas Station“

„eXistenZ“ hat mehrere surreal erscheinende Szenen, die beim zweiten Ansehen sonnenklar sind. Alles, was einen anfangs zum Stirnrunzeln bringt, ist beim zweiten Durchgang genau an der richtigen Position.

Ein weiteres gelungenes Kunststück: Andere Puzzle-Filme verlieren beim wiederholten Sehen deutlich. So ist für mich etwa „The Game“ von David Fincher ein Film, dessen Zauber nach dem ersten Mal verpufft. Ich habe ihn inzwischen mindestens fünfmal gesehen und bin jedes Mal beeindruckt, wie die Zahnräder des Drehbuchs ineinander greifen, aber das war’s dann auch. (Tipp: „The Game“ immer mit jemandem gucken, der den Film noch nicht kennt.)

„eXistenZ“ schafft es hingegen, auch beim zweiten Mal spannend zu bleiben, auch wegen der Vielschichtigkeit der Figuren. Bei jedem Durchlauf fallen mir andere Details auf; der auf der Blu-ray enthaltene Kommentar von David Cronenberg gibt noch tiefere Einblicke.

Deutlicher gesagt: Ich freue mich darauf, „eXistenZ“ bald wieder zu sehen. Von „The Matrix“ habe ich hingegen fürs Erste genug.

Die Gristle Gun
Um Metalldetektoren zu überlisten, besteht die Waffe des Attentäters aus Sehnen und Knochen.

Details am Rande

Bei der Recherche habe ich mich mal wieder in einigen Details verbissen, die letztlich doch keinen Platz im Artikel fanden:

  • Das Logo und die Opening Credits sind in „Tex Loose“ gesetzt, ein Font von Denis Dulude. Die meisten Zeichen sind „Tex Loose Bold“, das X und das Z des Filmtitels stammen hingegen, leicht verzerrt, aus „Tex Loose Regular“. (Steht nirgends, habe ich mir selbst erarbeitet.)
  • Die einfach aussehende Einstellung, in der Allegra und Ted von der Forellenzucht ins chinesische Restaurant gehen, ist ein hochkomplexer Greenscreen-Shot mit Motion-Control-Kamera. Im Film steht das Restaurant direkt hinter der Farm, tatsächlich waren die Gebäude 80 Kilometer voneinander entfernt. (Quelle: Audiokommentar von David Cronenberg)
  • Nach „Videodrome“ (1983) war „eXistenZ“ (1999) der erste Film, für den Cronenberg ein Drehbuch ohne vorhandene Vorlage geschrieben hat. Sein drittes Original-Drehbuch war für „Crimes of the Future“ (2022). (Quelle: IMDb)
Der unsichtbare Matte Shot
In Wirklichkeit war das „Chinese Restaurant“ 50 Meilen von der Hütte entfernt.

Wer noch nie etwas von David Cronenberg gesehen hat, sollte vielleicht mit „A History of Violence“ (2005) anfangen, sich vorsichtig zu „The Fly“ (1986) hervortasten, an „Naked Lunch“ (1991) kosten und dann „Videodrome“ (1983) sehen. Wenn ich an „Videodrome“ denke, laufen mir immer noch Schauer den Rücken herunter.

Es empfiehlt sich bei allen Cronenberg-Filmen, sie „kalt“ zu sehen, also ohne vorher eine Inhaltsangabe zu lesen. Insbesondere „A History of Violence“ macht desto mehr Spaß, je weniger man vorher darüber wusste.