Schreiben für ein neues Publikum

Vor einigen Monaten kontaktierte mich die Firma SoftMaker mit der Frage, ob ich jemanden wüsste, der deren Firmen-Blog um Fachartikel ergänzen könnte. Es sollte ausdrücklich nicht um Firmen-PR gehen, sondern um journalistische Berichterstattung. Ich empfand das als eine interessante Herausforderung und bot meine Feder an.

Letzte Woche ist der erste Beitrag erschienen, zum Thema Online-Übersetzer mit speziellem Fokus auf DeepL. Dieses Kölner Unternehmen lässt die Babelfische von Google und Microsoft alt aussehen. Der erste Blog-Beitrag wird von einem Interview flankiert, das mich den Lesern des SoftMaker-Blogs vorstellt.

Ich erzähle im Folgenden mal ein bisschen, wie es war, nach 20 Jahren c’t für ein ganz anderes Publikum zu schreiben und welche Erfahrungen ich dabei gesammelt habe.

Der erste Blog-Beitrag für das neue Zielpublikum ist mir bei weitem nicht so leicht gefallen wie erwartet. Heise-Tickermeldungen fließen eigentlich ziemlich gut in die Tastatur; da muss ich nie lange nachdenken, wie ich den Text angehe. Dem Auftraggeber SoftMaker ging es aber nicht um tagesaktuelle Informationen, sondern um möglichst zeitlose Beratungsartikel. Kurzum: Für ein Medium wie den SoftMaker-Blog ist eine ganz andere Textform gefragt.

Medium verfehlt, setzen

Meine ersten Versuche lasen sich wie c’t-Artikel. Nicht, dass c’t-Artikel schlecht wären, aber sie wenden sich an eine recht spezifische Zielgruppe. Die Blog-Artikel sollten hingegen allgemein verständlich sein. Dabei erhob ich den Anspruch, mein Thema nicht zu trivialisieren. Statt direkt in die Untiefen eines Themas abzutauchen, galt es, zuerst auch eher peripher interessierte Leser „abzuholen“.

Kurzer Exkurs:Leser abholen“ ist Journalisten-Slang. Es bedeutet, Leser durch eine möglichst interessante Einleitung für ein Thema zu interessieren, das sie sonst womöglich kalt gelassen hätte. Eine solche Einleitung wird auch „Einstieg“ genannt.

SoftMaker war sehr nachsichtig und schickte mir zunächst sehr diplomatisch formulierte Verbesserungsvorschläge. Als ich erst einmal begriffen hatte, in welche Richtung ich umdenken musste, beschloss ich, schlicht noch einmal neu anzufangen. Dabei habe ich die technischen Details massiv gestrafft, direkter formuliert und ständig darauf geachtet, ob die mir zur Verfügung stehenden Informationen auch für Leser interessant waren oder nur für mich.

Mein großes Umdenken

Entscheidend war letztlich, vor der Umstrukturierung eine Liste mit Fragen zu skizzieren, die konsequent aus der Leserperspektive formuliert waren. Also (aus dem Gedächtnis): Was kann mir ein Online-Übersetzer bringen? Welche Wahl habe ich? Welcher Online-Übersetzer ist derzeit der beste? Warum ist das so? Wie benutze ich diesen Übersetzer sinnvoll? Wie schneidet die Konkurrenz ab? Gibt es noch etwas zu beachten? Diese Fragen habe ich dann konsequent nacheinander beantwortet.

Und plötzlich wurde der Text komplett anders. Die erste Version hatte erst einmal grob die Funktionsweise neuronale Netze beschrieben und dann das isländische Rechenzentrum vorgestellt, in dem der Supercomputer steht, der den Online-Übersetzer DeepL antreibt.

Von welchem praktischen Nutzen ein Online-Übersetzer sein kann, kam erst nach der dritten Zwischenüberschrift vor. Stattdessen erklärte ich ausführlich, nach welcher Methode ich die Übersetzer getestet hatte. Das ist natürlich nicht uninteressant, aber Leser wollen vor allem wissen: Wozu kann ich ein solches Werkzeug sinnvoll nutzen?

Meine nächste Version des Texts ging jetzt mit minimalen Anpassungen online. Die direkte Leser-Anrede in der Einleitung ist sonst nicht so mein Ding, aber letztlich will ich, dass der Artikel gelesen wird.

Schon kurz darauf konnte ich meine Lernfähigkeit unter Beweis stellen: Der zweite Blog-Beitrag entstand wesentlich schneller und in weniger Iterationen. Versuchsweise habe ich ihn auf Englisch verfasst – SoftMaker lässt mein Geschriebenes dann in sechs Sprachen übersetzen (mutmaßlich durch Menschen und nicht mit DeepL).

Gerade kam eine Mail von SoftMaker, ob ich schon mal mit dem dritten Beitrag anfangen mag, wieder auf Englisch. Ich gehe dann mal meine Feder spitzen und habe wachsenden Spaß an der Sache.

Bonus: SoftMaker ist ein deutscher Software-Entwickler, der in erster Linie für seine Office-Suite bekannt ist. Es gibt SoftMaker Office für Linux, macOS und Windows sowie als Einzel-Apps für Android. Ich benutze deren Produkte seit 2007. Da hatte IBM die Lotus SmartSuite eingestampft und OpenOffice einen meiner Texte gefressen. (Details dazu in einem Blog-Beitrag bei SoftMaker.)