Auf Heise Online ist wieder ein Artikel von mir erschienen: Warum digitales De-aging insgesamt aufgegeben werden sollte. Es ist hoffnungslos.
Meine These: Es wird nie gelingen, Schauspieler vollkommen überzeugend so aussehen zu lassen, als seien sie deutlich jünger. Selbst bei den „besten“ Versuchen bricht die Illusion immer wieder kurz zusammen. Das Ergebnis: Der Bruch lenkt Zuschauer von der eigentlichen Handlung ab und reißt ihn womöglich komplett aus dem Film.
Seit 15 Jahren versuchen Special-Effects-Studios mit steigendem Aufwand, Schauspieler digital zu verjüngen. Der jüngste Versuch soll über 100 Millionen US-Dollar gekostet haben. Für „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ hat Effekt-Studio ILM einen digitalen jungen Kopf von Harrison Ford mit Deep-Fake-Technik weiter optimiert und über den realen Kopf gelegt. Ein irrer Aufwand.
Und trotzdem: Immer mal wieder entgleisen dem digital verjüngten Indiana Jones die Gesichtszüge. Um dem Problem auf den Grund zu geben, bin ich Sequenzen, die mir störend aufgefallen sind, Einzelbild für Einzelbild (Frames) durchgegangen. Und tatsächlich: Zwar versagt die Simulation beim jüngsten „Indiana Jones“ immer wieder für nur ein, zwei Frames, aber das reicht schon, um auch bei normaler Wiedergabegeschwindigkeit zu merken, dass da etwas nicht stimmt.
Jüngere Schauspieler sind preiswerter
Dabei gibt es ja diverse, wesentlich günstigere Alternativen zum digitalen De-aging, die sich auch schon vielfach bewährt haben. Die beste davon ist, jüngere Schauspieler:innen zu casten, dern Körperbau und Stimme in etwa passen und die wesentliche Eigenarten der älteren Darsteller:innen gut imitieren können.
Nachdem mein Text schon fertig war, habe ich hierfür zwei hervorragende Beispiele gesehen, die im Artikel nicht mehr unterkamen:
- „Oldboy“ (2003) von Park Chan-wook erweitert diese Technik durch sehr geschickte Schnitte zwischen dem jungen und dem alten Woo-jin Lee, abwechselnd gespielt von Yoo Yeon-Seok und Yoo Ji-tae.
- Die Serie „Monarch: Legacy of Monsters“ (2023) geht noch einen Schritt weiter: Hier verkörpern Vater und Sohn dieselbe Rolle. Da hilft natürlich, dass sowohl Wyatt und Kurt Russell begabte Schauspieler sind.
Die andere Möglichkeit besteht darin, junge Schauspieler mit Makeup älter erscheinen zu lassen. Wie gut das gehen kann, ist schon in „Citizen Kane“ (1941) zu sehen, aber auch in „Zurück in die Zukunft“ (1985). Funktioniert natürlich nur, wenn der Film nicht mit den Namen bekannter älterer Darsteller Kasse machen will.
Mein Artikel trägt den Titel „Missing Link: Hört bitte auf, Schauspieler digital jünger zu machen„. Er enthält einen Abriss über De-aging-Versuche von „Benjamin Button“ über „Terminator: Salvation“, „Tron Legacy“ und „Gemini Man“ bis hin zum fünften Indiana Jones. Zum Schluss versuche ich zu erklären, warum die Studios es trotz aller Fehlschläge immer wieder versuchen.
Der unterschlagene Urknall
Einen Film habe ich dabei übrigens unterschlagen: „X-Men: Der letzte Widerstand“ (X-Men: The Last Stand) von 2006. Hier wurden Patrick Stewart und Ian McKellan für eine Szene um ca. 25 Jahre „verjüngt“. Für diese Pioniertat war Lola FX verantwortlich, das inzwischen von Marvel Studios standardmäßig zum Deaging verwendet wird.
In Standbildern sieht das Ergebnis ganz gut aus, doch in Bewegung ist der Effekt desto gruseliger, je näher die Schauspieler der Kamera kommen: Etwas stimmt ganz und gar nicht.
Es wurde schon viel darüber geschrieben, was genau hier schief läuft (u. a. sehr aggressiv bei Screenrant — englisch). Grundsätzlich war das Problem dasselbe wie ein Jahrzehnt später bei „Captain America: Civil War“ (2016): Die Regie hatte keine Erfahrung mit den Schwächen der Technik.
Solange die Schauspieler in derselben Entfernung zur Kamera bleiben, kann De-aging relativ gut gehen. Kommt die Figur aber ohne Zwischenschnitt näher, verschieben sich die geglätteten Gesichtszüge auf unnatürliche Art und Weise. Das liegt vermutlich daran, dass die digitale Technik nicht hunderprozentig damit klarkommt, wie Kameralinsen die Gesichtsstrukturen bei wechselnder Entfernung verzerren (Stichwort: Brennweite, siehe Link unten).
Warum habe ich „X-Men: The Last Stand“ unterschlagen, trotz der Vorreiterrolle des Films? Weil der Effekt im Unterschied zu „Benjamin Button“ (2008) schon damals niemanden überzeugte. Und: Der Artikel war eh‘ schon etwas arg lang.
Weiterführende Links
- Index meiner letzten Artikel für Heise Online
- Oldboy (2003) in der Internet Movie Database (IMDb)
- Monarch: Legacy of Monsters (2023) in der Internet Movie Database (IMDb)
- Die De-aging-Szene in „X-Men: The Last Stand“ auf YouTube
- YouTube-Short über Brennweiten in Portraits auf YouTube (Vorsicht, saulaute und aufdringliche Musik). Die Zahl oben links ist die jeweils verwendete Brennweite.
P.S.: Der Artikel erschien bereits am 10. Dezember 2023, also vor einer Ewigkeit (bzw. exakt einem Monat vor diesen Zeilen hier), anlässlich der Blu-ray-Veröffentlichung von Indiana Jones 5. Wie bereits erwähnt, fällt es mir schwer, mich angemessen zu verkaufen.