Boah, ging im letzten Frühling ein Rauschen durch den Blätterwald, als gefühlt alle Journalisten darüber diskutierten, ob sie gendern sollen oder nicht.
Kurze Erklärung: Gendering bedeutet die Suche nach geschlechtsneutral beziehungsweise gleichberechtigte Formulierungen. Die Rede ist auch von „integrativem Gendering“.
Anlass für die Diskussion war ein Urteil des Bundesgerichtshofes, dass eine Bank das ‚generische Maskulinum‘ auch bei Schreiben an Frauen weiterhin benutzen kann. Dies stelle keine Diskriminierung dar.
Olle Kamelle
Das Thema ist mir alles andere als neu. Schon als ich an die Uni ging, schummelten StudentInnen das „Binnen-I“ in ihre Sätze. Ich fand das eher hässlich, zumal es sich schlecht von einem kleinen L unterscheiden ließ. Damals gab es aber auch noch keine iPhones oder eBay, geschweige denn, (schauder) CorelDRAW.
eine andere mode der damaligen zeit bestand darin, alles kleinzuschreiben. das fand und finde ich – obwohl ansonsten anglophil veranlagt – einfach nur falsch.
Jetzt ist das Gendering wieder nach vorn getreten, diesmal mit Sternchen oder Unterstrich. Im Zuge des BGH-Urteils wurde die Diskussion unter Journalist*innen erhitzter als nötig. Die Zeit argumentierte sowohl Pro als auch Kontra und hat die Argumentation beider Seiten inzwischen hinter die Paywall verschoben.
Offizielle Aussage der Zeit-Textchefin übrigens: Wir gendern nicht. Der Rechtschreibrat hat im November verlautbart, dass er sich erst mal raushalten will. Clever.
Gendering in der Praxis
Meine Position in Sachen sprachlicher Diskriminierung ist pragmatisch: Wenn ich durch meine Wortwahl verhindern kann, dass sich jemand ausgegrenzt oder beleidigt fühlt, ohne dass das meine Ausdrucksfähigkeit zu stark einschränkt, warum nicht?
Soweit die Theorie. Vor Kurzem klopfte das Gendering dann an meiner Tür. Ich wurde zu einem Projekt eingeladen, bei dem als Maßgabe gilt: Bitte gendern. Diese Aufgabe werde ich in den meisten Fällen ohne Probleme lösen können. Aber erst einmal muss ich mich umgewöhnen: Texte nach „man“ durchsuchen, alle Substantive schief angucken, ob sie unabsichtlich etwas implizieren. Für sprachliche Notfälle steht ein Passivstreuer parat.
Bonus: Vor ein paar Jahren hatte ich mir in den Kopf gesetzt, daheim zu fritieren. (Klar geht das auch im Topf, aber wohin mit dem Öl?) Glücklicherwiese gibt es für sowas spezialisierte Küchenmaschinen. Im MediaMarkt habe ich die bei den Kaffeeautomaten stehende Verkäuferin nett gefragt, wo ich eine Friteurin finde. Verständnisloser Blick. Naja, nachdem man nicht mehr „Friseuse“ sagen darf …
Bonus Bonus: Ich habe die Geschichte kurz darauf meiner Friseurin erzählt. Sie meinte, ihr sei es egal, ob ich sie Friseurin, Stylistin oder Friseuse nenne. Hauptsache, das Trinkgeld stimme. Was sie von „Fachkraft für die Pflege des Kopfhaares“ hält, habe ich mich nicht getraut, zu fragen.